„Nimm dir ruhig was Schönes fürs Wochenende vor!“ Mit diesem Satz entließ mich meine Hebamme Constanze aus der Vorsorgeuntersuchung. Schon seit fast zwei Wochen hatte unser kleines Wunder fleißig mit Wehen angetäuscht, so auch seit dem Vortag. Meine Hebamme riet zu Geduld und Ablenkung. Ich jedoch fühlte mich auf die Folter gespannt, denn meine Mama hatte an diesem Tag Geburtstag. Wie besonders wäre ein gemeinsamer Geburtstag für Oma und Baby!

Im Anschluss an den Termin mit Constanze war ich mit meinem Mann und unserer großen Tochter Aurelia – sie war 4 – im Restaurant verabredet. Schon bei den ersten Bissen meines scharfen Gerichts merkte ich, dass sich die Kontraktionen veränderten. Zurück zuhause hatte ich das Bedürfnis, mich zurückzuziehen, während mein Mann die Große ins Bett brachte. Ein warmes Bad, um die vermeintlichen Übungswehen zu beruhigen, half auch scheinbar – bis sie dann umso schneller folgten. Meine Schwester, die am Handy quasi live mitlas, redete mir zu, Constanze anzurufen, während ich selbst noch immer überzeugt war, alle völlig umsonst nervös zu machen. Es könne sein, dass wir uns ganz vielleicht doch im Laufe des Abends nochmal sähen, begann ich das Telefonat. Constanze erinnerte mich daran, durchzuatmen, jede Welle wieder gehen zu lassen und fragte direkt: „Weiß denn dein Schwiegervater“, der Babysitter für die Große, „schon Bescheid?“ Waren wir bis dahin noch zögerlich, hatte es mein Mann nun eilig, seinen Vater anzurufen.

Und plötzlich ging alles Schlag auf Schlag. Schon wenige Minuten später überrollten mich die Wehen sehr regelmäßig. Ich fluchte, wo der Schwiegervater bleibe. Dann verabredete ich mich mit Constanze im Geburtshaus. Während mein Mann die notwendigen Sachen im Auto verstaute, durfte der nun eingetroffene künftige Opa mit mir Wehen veratmen. Der war total happy, dass er das Wissen aus dem Geburtsvorbereitungskurs nach sechs eigenen Kindern endlich und zum ersten Mal auch wirklich anwenden durfte. Mittlerweile schaffte ich es zwischen den Wehen in unserer kleinen Wohnung kaum mehr vom Wohnzimmer bis zu den Schuhen. Der Weg zum Auto und ins Geburtshaus erschien mir unendlich lang, die Fahrt als die längsten 18 Minuten meines Lebens und nur dank vorbereiteter Musik zu überstehen.

Dort angekommen wurden wir von Constanze herzlich in einem sanft ausgeleuchteten Raum begrüßt und ich hatte das Gefühl, aufgehoben und sicher zu sein. Es war warm und heimelig und ich konnte mich endlich fallen lassen. Naja, soweit das halt mit Wehen, die gefühlt ineinander übergehen, klappt. In der Nacht zuvor hatte ich nur drei Stunden geschlafen und hätte so gerne entspannt. Doch jede Bewegung in Richtung Liegen schien eine neue Kontraktion auszulösen. Zwischendurch fragte ich doch glatt nach Schmerzmitteln. Die Auswahl erschien mir dann allerdings wenig verlockend. Stattdessen bot mir Constanze ein Bad an. Das warme Wasser und das Leichtsein lösten meine Anspannung etwas. Die ganze Zeit über war mein Mann an meiner Seite, hielt mich, gab mir zu trinken, motivierte mich. Constanze prüfte ab und zu und für mich kaum wahrnehmbar und bequem (dafür für sie mit jeder Menge Gymnastik verbunden) die Herztöne. Sie gab meinem Mann und mir Raum und ließ uns die Geburt gestalten. Gleichzeitig erkannte sie scheinbar mühelos, wenn mir eine Wehe zu schwierig wurde. Dann schaute sie mir in die Augen und führte mich hindurch. Sie erinnerte mich ans Entspannen am Ende jeder Wehe und daran, ans Baby zu denken. Und ich konnte es kaum erwarten, diesen kleinen Menschen kennenzulernen.

„Ich rufe jetzt Corinna an“. Ein Satz, der mich gleich doppelt glücklich machte. Die zweite Hebamme wird erst zur eigentlichen Geburt gerufen – Endspurt, juhu! – und ich kannte Corinna bereits als Vertretung und freute mich sehr, dass es sie war, die dabei sein würde.

Die Presswehen kamen und mit ihnen Wehenpausen, in denen ich Kraft schöpfen konnte. Und die Gewissheit, jede Welle nutzen zu können, um meinem Baby ein Stückchen näher zu kommen. Ein Wahnsinnsgefühl, das Gebären selbst aktiv gestalten zu können! Plötzlich spürte ich das Köpfchen und schon war es zur Hälfte hindurchgetreten. Während es noch da steckte, ebbte die Wehe ab. Unsicher, ob ich nun weiterpressen oder die Pause nutzen sollte, gab sich die Antwort von selbst: An Entspannung war nicht zu denken. Ich nahm alle Kraft zusammen und mit der nächsten Wehe bahnte sich unser kleines Wunder im Ganzen den Weg in die Welt. Als dann dieser kleine Mensch da in der Wanne schwamm, war ich zunächst ganz verwirrt. Eine Wassergeburt hatte ich gar nicht auf dem Plan gehabt. Kaum in meinen Arm geschlossen, kam ein erstes zaghaftes Hallo von diesem kleinen Wesen. Ich hielt unser Kind und wir kuschelten einige Minuten im warmen Wasser.

Dann holten uns meine Hebammen und mein Mann mit vereinten Kräften aus der Wanne. Das Baby und ich wurden gemeinsam trocken und warm gerubbelt. Nachdem ich auch die Plazenta geboren hatte, wurden unser Kind und ich unter die gemütliche Bettdecke gesteckt. Mit heißen Getränken versorgt konnten wir hier zu dritt ganz viel Liebe tanken und uns in Ruhe kennenlernen. Schließlich musste ich doch mal fragen: „Haben wir nun eine Tochter oder einen Sohn?“ – wir hatten uns, wie auch beim ersten Kind, überraschen lassen. Mein Mann schaute nur ratlos und auch Constanze und Corinna wussten keine Antwort.

Es war eine Tochter. Nora hat trotz ihres Sprints Omas Geburtstag ganz knapp verpasst und sich ihren eigenen Tag gesichert.

Nicht einmal drei Stunden später, mit dem ganz großen Glück, keine Geburtsverletzungen zu haben, schön geduscht (ich), gewickelt und eingepackt (Nora) und mit vielen guten Wünschen unserer großartigen Hebammen traten wir auch schon durch die erwachende Stadt die Heimfahrt an. Dort angekommen wurde unsere jetzt so große Tochter durch das Schreien ihrer neugeborenen Schwester geweckt: „Wo ist Mama und wer schreit denn da?“ Aurelia hatte das Spektakel komplett verschlafen und war nun sehr überrascht. Nach einem fröhlichen Kennenlernen schlief ich mit meiner ganzen wunderbaren Familie im Bett und Nora auf dem Arm im Sitzen ein.

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