Es ist etwa halb sechs am Dienstagabend. Ich stehe im Türrahmen zum Bad und glaube gerade meine erste Wehe gespürt zu haben. Ich freue mich, dass es bald losgeht. Schon die letzten Tage habe ich das Gefühl gehabt, dass sich etwas tut. Ich fühle mich bereit und trotzdem nervös. Mein Bauch fühlt sich riesig an, meine Finger und mein Gesicht sind ganz aufgequollen. Mein Körper hat anscheinend auch genug vom schwanger sein.

Mein Mann repariert noch schnell den Wasserhahn im Bad und ich lege eine wasserdichte Unterlage auf meiner Matratze bereit. Für den Fall der Fälle.

Nach dem Abendessen gehen wir recht zeitig ins Bett. Nochmal den letzten Schlaf mitnehmen. Ich habe viele Berichte gelesen in denen es noch ein paar Tage dauerte bis es wirklich losging – mit dieser Erwartung gehe ich schlafen. Jede halbe Stunde wache ich auf, die Intensität der Kontraktionen nehmen zu. Am liebsten liege ich dabei auf der Seite und rolle mich zusammen – soweit das eben geht mit der Kugel.

Gegen Mitternacht beschließe ich mal auf die Uhr zu schauen. Die Abstände haben sich deutlich verkürzt. Die Pausen sind nur noch knapp eine viertel Stunde lang. Die Wehen fordern mehr Konzentration von mir. Ich wecke meinen Mann mit den Worten „Ich glaube morgen gehst du nicht mehr auf die Arbeit“ – Ich soll recht behalten. Er bereitet das Wohnzimmer vor- Malerfließ auf dem Boden, Kerzenlicht sorgt für eine entspannte Stimmung, die Heizung läuft und am Deckenhaken hat ein Tragetuch den Hängesessel abgelöst. Die Couch wird mein Lieblingsort für die nächsten Stunden. Ich knie davor und stütze mich darauf ab. In den Pausen kann ich den Oberkörper ablegen und entspannen. Mein Mann sitzt mir gegenüber und hält meine Hände, so kann ich gut daran ziehen.

Ich empfinde die Wehen immer heftiger, ich habe kaum noch Pausen. Mir geht das etwas zu schnell. Ich mache mir etwas Sorgen um das Baby, denn wie auch während der Schwangerschaft fühle ich kaum Bewegungen. Und außerdem bin ich schon am Schwitzen. Innerlich muss ich etwas schmunzeln. Denn bevor die Frau schwitzt, so hieß es davor augenzwinkernd bräuchte man die Hebamme gar nicht erst dazu holen.

Ich wechsle die Positionen, hänge mich auch mal an das Tuch. Lautes Tönen hilft mir mit den Wehen zu arbeiten. Mein Mann tönt zeitweise mit. Hätte nicht gedacht, dass ich das gut finden werde. Kurz denke ich an die Nachbarn und die hellhörigen Wände. Egal. Ich weiß, dass jede Wehe einen Hormoncocktail lostritt die mein Körper für diesen Kraftakt braucht. Darauf habe ich mich mental vorbereitet und daran hält mein Hirn fest. Scheint zu funktionieren. Nächstes Mal sollte ich mehr Ausdauer trainieren, denke ich nur. Ich spüre jeden Muskel in meinem Körper arbeiten und frage mich wie lange ich das wohl aushalte.

Es ist vielleicht 3 Uhr früh als ich Marcus bitte doch mal die Hebamme zu rufen. Ans Telefon geht Ann-Christin- Ich freue mich, denn Sie ist „meine“ Hebamme. Sie ist in kurzer Zeit da. Ich fühle mich wieder sicher. Sie untersucht mich und mein Baby – alles ist gut. Sie bietet mir an mich vaginal zu untersuchen-das nehme ich gerne an. Dafür muss ich mich auf den Rücken legen. In dieser Position finde ich die Wehen kaum auszuhalten – einer der vielen Momente in denen ich meine selbstbestimmte Geburt schätze. Der Muttermund ist erst wenig geöffnet. Ein Blick auf die Uhr und ich hoffe innig, dass die Regel „1 cm pro Stunde“ bei mir nicht gilt. Es wird nämlich anstrengend. Ich schicke Ann-Christin weg. Sie würde bleiben, wenn ich das will. Ich weiß diesen Part müssen mein Baby und ich alleine schaffen. Mein Mann bleibt tapfer bei mir. Die Wehenpausen sind so kurz, ich lasse ihn nicht mal auf Toilette. Im Nachhinein tut er mir ein wenig leid.

So wehen wir gemeinsam. Ich entwickle einen richtigen Rhythmus. Bis ich anfangen muss zu pressen. Jap das kann man wirklich kaum unterdrücken. Da werde ich von jeder Wehe aufs neue überrascht. Zeit für die Hebamme. Da um 7 Uhr Übergabe ist warten wir noch ein wenig bis wir anrufen. Ich weiß Corinna hat ab jetzt Dienst. Das beruhigt mich, ich habe ein gute Gefühl bei Ihr.  Dass Corinna ankommt bemerke ich kaum noch. Auf einmal sitzt sie neben mir und redet ruhig mit mir. In den Wehenpausen kontrolliert sie die Herztöne. Alles ist gut. Sie untersucht mich – der Muttermund ist noch nicht komplett offen. Sie fragt mich daher ob ich die Presswehen noch ein paar Mal veratmen kann. Ich versuche es – aber mein Körper ist anderer Meinung- ich schaffe es kaum. Ich bin kurz verunsichert. Doch dann rät sie mir es so zuzulassen wie es eben geht. Irgendwann dazwischen kommt Eva, die zweite Hebamme dazu auch das bekomme ich nicht wirklich mit.

Corinna schlägt mir vor selbst nach dem Köpfchen zu tasten. Aber dafür habe ich gerade keine Nerven. Ich bin damit beschäftig meinen Körper zu kontrollieren. In dieser Phase benötige ich all meine Konzentration und Kraft. Ich schaue nicht mehr auf die Uhr, weiß nicht wie viel Zeit vergeht. Ab und zu wird mir kalt, dann legt mir mein Mann den Bademantel um. Dann wird mir wieder heiß. Ich verlange nach Traubenzucker und etwas zu trinken.

Ich spüre den Druck Richtung Damm. Ärgere mich etwas, wenn ich zwischen den Wehen fühle wie der Kopf des Babys wieder zurückrutscht. Doch ich spüre es geht vorwärts. Ich gehe nochmal auf Toilette. Aber ich muss gar nicht. Ich mache die Tür trotzdem hinter mir zu, fühlt sich gut an kurz ganz für mich zu sein.

Die Position an der Couch wird mir zu verkrampft, meine Ellenbogen sind ganz aufgescheuert. Wir versuchen es im Stehen am Tuch oder in den Armen meines Mannes. Das geht gar nicht. Bei jeder Wehe klappe ich vor Anspannung fast in der Mitte zusammen. Gut dann versuche ich mal die tiefe Hocke. Die hatte mir in der Vorbereitung am besten gefallen. Meine Oberschenkel streiken. Dann eben wieder zurück ins Knien. Ich bemerke am Rand wie Corinna warme Kaffeekompressen auf meinen Damm legt und mir den Rücken streicht. Das ist angenehm. Sie schlägt vor, dass ich nochmal zur Toilette gehe. Finde ich erstmal gar nicht gut. Der Weg kommt mir ewig weit vor, zweifle ob ich das zwischen den Wehen schaffe (es sind nur 2 Meter gewesen 😉). Als ich schließlich auf der Toilette sitze bekommt mich Corinna kaum noch davon runter. Ich kann hier gut pressen, eine gute Sitzhöhe und ich kann mich seitlich an den Wänden abstützen. Jetzt taste ich auch mal selbst und spüre den Kopf als eine harte, leicht glibschige Rundung. Eine ganz wundersame Erfahrung. Corinna möchte mich gerne wieder im Wohnzimmer, Geburt auf der Toilette ist vielleicht nicht ganz das wahre. Ok ich raffe mich wieder auf.

Von da an geht alles ganz fix – zumindest in meiner Einnerung. Ich knie wieder vor dem Sofa, mein Mann sitzt vor mir. Er hat mich im Arm. Die letzten Presswehen strengen ich mich nochmal richtig an. Auf einmal spüre ich den Druck steigen. Corinna meint der Kopf ist gleich durch. Dann wird es auf einmal ganz warm und das Fruchtwasser entleert sich in einem Schwall. Bei der nächsten Wehe flutscht der Rest meines Babys durch. Es ist 10:31 Uhr. Ich setze mich zurück, so dass ich mein Baby selbst auf meine Brust legen kann. Bevor ich es überhaupt sehen kann steigen mir die Tränen in die Augen. Eine Welle aus Gefühlen überkommt mich. Ich bin gleichzeitig so erschöpft, so glücklich, verliebt, dankbar und verdammt stolz wie ich es noch nie zuvor war. Mein Mann und ich küssen uns unter Tränen und halten gemeinsam unser Kind in den Armen. Es ist ein Mädchen, unser erstes Kind.

Ich lege mich mit Baby Emilia auf die Couch und lege sie das erste Mal an. So ein kleines zerbrechliches Wesen, sie ist perfekt und wunderbar.

Nach ein paar Minuten kündigt sich die Nachgeburt an. Corinna fordert mich noch einmal zum Pressen auf. Zu unser allem Erstaunen kommt diese dann mit etwas mehr Schwung auf Corinna zu wie erwartet – da war ich anscheinen noch voll im Pressmodus. („Du hast gesagt ich soll Pressen“ 😉)

Jetzt habe ich Hunger! Ich glaube Ann-Christin war es die Brötchen vorbeibringt und extra ein Croissant für mich. Eine unwahrscheinlich herzliche Geste.

Nachdem die Nabelschnur auspulsiert hat durchtrennt mein Mann die Nabelschnur. Er kann nun nach den Untersuchungen mit Emilia ins Bett zum Kuscheln.

Emilia hat sich ihren Weg gebahnt, so muss mich Corinna noch nähen. Ich hatte das gar nicht mitbekommen, darüber bin ich froh. Sie betäubt alles gründlich und arbeitet sehr einfühlsam. Danach kann ich endlich duschen. Eva begleitet mich. Ich bin noch etwas zittrig auf den Beinen. So fühlt man sich bestimmt nach einem Marathon – am nächsten Tag werde ich Muskelkater haben…mein Mann übrigens auch, vom ganzen Dagegenhalten.

Erst als alle Fragen geklärt sind und wir gut versorgt sind verlassen uns Corinna und Eva. Ich freue mich wahnsinnig danach in meinem eigenen Bett zu liegen und dort mein Wochenbett zu verbringen

Gleich abends kommt auch schon Ann-Christin vorbei und beginnt mit der Nachsorge.

Auch heute fast 9 Monate nach der Geburt unserer Tochter, erinnere ich mich gerne mit meinem Mann daran zurück. Ich bin glücklich, dass ich meine Tochter in entspannter Atmosphäre mit mir vertrauten Menschen und in gewohnter Umgebung zur Welt bringen durfte. Ich danke dem besten Mann der Welt, dass er meine Wünsche respektiert und mich auf diesem Weg begleitet.

Ich wünsche jeder Frau die Möglichkeit ihre Geburt so zu gestalten wie sie es möchte.

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