„Duuuuu willst im Geburtshaus entbinden?“ Mein Mann schaute mich ungläubig an. Aber der Reihe nach…
Als feststand, dass ich schwanger bin, stellte sich die Frage nach der Geburt sehr schnell: ich bin meiner Meinung nach ein „Schisshase“ was Schmerzen angeht. Zumindest denke ich das von mir. Und bis vor einem Jahr wollte ich unbedingt einen Kaiserschnitt, weil ich der Meinung war, ICH schaffe das NIE OHNE Schmerzmittel und schon gar nicht ohne Dammschnitt und/oder –Riss. Und das war das Letzte, was ich bei Bewusstsein erleben wollte.
In irgendeinem Buch hatte ich von schmerzarmer Geburt gelesen. Also bemühte ich das Internet, fand alles (un)mögliche und stieß in einem Forum auf den Begriff Geburtshaus. Tante Google wusste mehr: Geburtshaus und Hebammenpraxis Stuttgart Mitte. OK. Nicht gerade der nächste Weg für uns, aber egal. Auf der Homepage fand sich noch ein Buchauszug zum Thema „Geburt und Schmerzmittel“. Also bestellte ich mir das Buch und las eifrig. Und war überzeugt, dass es DAS war, was ich für mein Kind wollte. Egal wie.
Der nächste Infovormittag war nicht lange hin, ich also dort hin. Wie so oft, brauchte es eigentlich nicht viel, um mich zu überzeugen: Atmosphäre und erster Eindruck waren sehr stimmig. Alles, was ich bis dahin über eine sanfte Geburt gelesen hatte, schien dort Realität werden zu können. WENN ich mir zutraue, es ohne Medikamente zu schaffen… Katharina versicherte mir damals: „Du/Ihr könnt es!“ und damit war die Anmeldung – zumindest im Kopf – erfolgt. Die Termine zur Vorsorge im Wechsel mit der betreuenden Frauenärztin waren eine richtige Wohltat. Nicht ein 5-Minuten-Gespräch, nach dem man mit einem US-Bild nach Hause geht, um dann dort aus dem Mutterpass irgendwelche Zahlen und Kürzel zu entziffern. Mich hat erstaunt, wie Chris mit ein paar routinierten Handgriffen feststellte „Da hats aber genug Fruchtwasser“, oder „Der Kleine ist fit wie ein Turnschuh“. Manchmal fragte sie: „Was denkst du, wie geht es ihm?“ Es war der Anfang einer sehr liebevolle Beziehungsaufnahme zu unserem kleinen Sohn. Und auch meine Bedenken und Wehwehchen wurden sehr ernst genommen.
Parallel dazu hatten mein Mann und ich uns den „Geburtsvorbereitungskurs für Paare“ „gegönnt“. So gänzlich ohne „Anleitung“ wollte mein Mann dann doch nicht sein und ich wollte niemanden zur Geburt dabei haben, um den ICH mich vielleicht noch kümmern muss oder dem der ganze Vorgang Angst und Schrecken einjagt.
Nachdem der Entbindungstermin näher rückte, kamen die Zweifel: „Auf was hast Du Dich da eingelassen? Au weia.“ Würde es nicht doch besser sein, in eine Klinik zu gehen? Ausruhen hinterher schien verlockend. Und auch die Möglichkeit einer PDA… Aber da war noch ein Bauchgefühl, das sagte, „Nein, das wird gut“ – und der Bauch war zu der Zeit schon ziemlich groß 🙂
10 Tage vor dem errechneten Termin begannen nachts um 2 Uhr leichte Wehen. Nachdem man dem ersten Kind (und dann auch noch einem Junge) nicht unbedingt nachsagt, zu zeitig dran zu sein, wollte ich diese gerne noch ignorieren. Es ging nicht wirklich. Also aufgestanden, umhergelaufen. Wieder ins Bett. Keine Ruhe. Morgens gegen 5 Uhr hatte ich ein Einsehen: es würde wohl nicht mehr aufhören. Also die restlichen Utensilien in die Tasche gepackt und das Köfferchen für die Waschutensilien. Gegen 6 Uhr begriff mein Mann, dass es wohl doch ernst werden würde. Ich habe ihn nochmals ins Büro geschickt, nachdem Katharina am Telefon meinte, sooo schnell geht’s dann auch nicht. Zu der Zeit kamen die Wehen schon alle 5 Minuten. Leider war an Schlaf nicht mehr zu denken. Und ich war hundemüde. Na das kann ja heiter werden!
Wir vereinbarten, zur Mittagszeit im Geburtshaus zu sein, hatten noch eine gute Wegstrecke mit dem Auto vor uns. Derweilen musste daheim noch die Küche geputzt werden. Im Wohnzimmer lag die Airexmatte und der Pezziball – zum Wehen veratmen genau richtig. Also pendelte ich zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her.
Wir kamen im Geburtshaus an, Katharina empfing uns und nach der Untersuchung stand fest: Mumu 1 cm. Ich war ehrlich gesagt, ziemlich enttäuscht. Wie sollte ich das aushalten? Erst 1 cm! Und das, was ich da spürte, war nicht lustig…
Als Nicht-Stuttgarten blieb uns eine nochmalige Heimfahrt erspart, wir zogen mit unserem Mitgebrachten ins Geburtshaus ein. Die Räumlichkeiten kannten wir schon vom Infovormittag bzw. aus dem Geburtsvorbereitungskurs (dort gab es Gelegenheit, die verschiedenen Gebärpositionen „trocken“ zu üben). An ein Schläfchen war nicht mehr zu denken. Katharina ließ mir eine Entspannungsmassage angedeihen. Ich konnte ein bisschen in den Sekundenschlaf abtauchen – für mich unglaublich in dieser Situation.
Um dem Lagerkoller etwas vorzubeugen und die Wehen richtig in Fahrt zu bringen (nach ihrer Meinung – MIR war es schon allemal genug!!!) schlug Katharina vor, einen kleinen Spaziergang zu mache. WAS?? Spazieren? In diesem Zustand? Also gut. Ein paar hundert Meter vor und zurück, alle paar Schritte stehen bleiben und laut schreiend Wehen veratmen – mitten in Stuttgart. Ein paar erstaunte Nachbarn boten uns ihre Hilfe an. Nett. Aber da war nix zu helfen 🙂
Zurück im Geburtshaus wollte ich keinen Schritt mehr gehen, keine Wehe mehr haben und am liebsten mein Kind wieder im Bauch mit heim nehmen. Ich hatte genug! So hatte ich mir das nicht vorgestellt…
Auf diese meine Bitte hin beschlossen Katharina und mein Mann, dass ich doch bitte weitermachen soll. Schließlich wäre die Klinik das, was ich doch NICHT wollte… Ich würde das schon schaffen.
Zu Hilflos zum streiten (sie hatten ja recht) gab ich mich geschlagen. Kurze Zeit später empfand ich das erste Mal einen Rhythmus und das Gefühl, es geht vorwärts. Ich versuchte mir vorzustellen, dass mein Kind mit jeder Wehe dem Ziel ein Stück näher kommt und wie es ihm wohl geht in diesem „Fegefeuer“. Das Gefühl für Uhrzeit hatte ich schon längst verloren, war trotzdem hellwach. Katharina und Monika gaben immer wieder Anweisung zum besseren veratmen. Ich konnte mich gut darauf einlassen und fühlte mich absolut „getragen“ und versorgt.
Gegen 22 Uhr platzte dann endlich die Fruchtblase. Wenig später mischte sich in das bisherige Wehen-Gefühl der Pressdrang. Soll ich? Monika meinte, „Nur zu“… Momentan hatte ich nur Angst um meine Stimmbänder. Ob ich wohl am nächsten Tag noch einen Ton rausbringen würde? Immer wieder musste ich mich kurz ausruhen auf dem Bett, bekam eine Massage und Monika tat ihr bestes, um mich zusammen mit meinem Mann zu unterstützen. Massage, trinken, Traubenzucker etc. …
Es schien mir fast endlos, kein Gefühl für die Zeit… Aber jetzt konnte es nur noch vorwärts gehen… Ich war ein bisschen erstaunt, doch schon „so weit“ zu sein. OHNE SCHMERZMITTEL. Sooo lange konnte es ja nicht mehr dauern.
Katharina und Monika waren ein super Team. Sie haben mich so perfekt motiviert – zum richtigen Zeitpunkt das Richtige; egal ob Atemunterstützung oder Massage… Mittlerweile war ich mitten in den Presswehen. Dass das Köpfchen sich noch richtig ins Becken dreht, wollte ich nochmals in Seitenlage ins Bett liegen. Leichter gesagt, als getan. Monika hat mich dann in eine entsprechend Lage gebracht, so dass ich ein paar Wehen dort aushalten konnte.
Irgendwann ging ich dann auf den Hocker, konnte mich aber nicht mehr richtig halten. Katharina hielt mir einen Spiegel hin – das Köpfchen war schon ein bisschen zu sehen. Tasten konnte ich es auch schon. Jetzt wieder Positionswechsel. In den Vierfüßler. Katharina meinte „Jetzt muss er aber raus – schieb ihn einfach raus!“. Wie bitte? Einfach? Was ich nicht sah: Sie legte schon das Messer für den Dammschnitt bereit; die Wehen waren nicht mehr stark genug, um wirklich gut mitzupressen. Nach 3 erfolglosen Runden nahm ich alle letzte Kraft zusammen, dann spürte ich nur noch ein zappeln – und dann war er da: unser Tim… Inzwischen war es 1.25 Uhr. Er wog 3620 g und war 51 cm „klein“…
Ganz erstaunt schaute ich zu Boden; dort lag er und schrie aus Leibeskräften. Katharina und Monika halfen mir aufs Bett, und dann bekam ich Tim auch schon in warme Handtücher eingewickelt auf den Bauch gelegt. Er brüllte immer noch und ließ sich erst einige Zeit später beruhigen. Dann legte ihn Monika mir an die Brust. Die Nachgeburt ließ nicht lange auf sich warten und ging ohne Probleme ab.
Wir hatten dann erstmal Zeit, um uns ein klein wenig aneinander zu gewöhnen und zu „beschnuppern“. Katharina machte dann im Bett noch die U1, Monika zeigte uns die Plazenta – ein Wunderwerk!
Anschließend durfte mein Mann Tim anziehen. Noch etwas unbeholfen kämpfte er sich durch die vielen Schichten Wäsche.
Ich lag inzwischen immer noch auf dem Bett und fühlte mich ganz gut. Meinen Mann überkam die Müdigkeit und ich dachte: „Na, heimfahren könnte ich jetzt auch noch, ich bin doch fit“. Allerdings merkte ich wenig später beim aufstehen, dass der Kreislauf doch nicht ganz da war. Also ab ins Bad, bei offenem Fenster und mit Traubenzucker etc. ein bisschen aufgeputscht. Langsam gins bergauf – die Hormone taten ihr Übriges und ich konnte mich „richten“. Während dessen packte mein Mann alles zusammen, belud das Auto. Ich konnte mich dann nochmals kurz hinlegen. Tim wurde „ausgehfein“ gemacht und in seinen Sitz verpackt. Den Weg zum Auto brauchte ich noch „Unterstützung“. Es erschien mir so unwirklich. Unser Kind war da, ich war völlig im Hormonrausch und hatte das Gefühl, eine Zeitreise gemacht zu haben… Jetzt waren wir also zu dritt!
Zum Abschied gab es eine herzliche Umarmung und wir traten glücklich und müde unsere Heimfahrt an.
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