Ein Tag nach dem errechneten Termin war ich am Nachmittag noch zur Vorsorge im Geburtshaus, alles war ruhig. Am Abend dann stellten sich regelmäßige aber noch sehr schwache Wehen ein, die in der Nacht langsam stärker wurden. Gegen 3.00 Uhr war dann klar, dass es nun wirklich losgeht . Gegen 3.30 Uhr rief ich im Geburtshaus an um Bescheid zu geben, dass sich bei uns etwas tut. Da die Hebamme auf dem Weg zu einer Hausgeburt war und es mir auch noch soweit gut ging vereinbarten wir, dass ich noch etwas zuhause bleibe und mich nach einer Stunde noch einmal melde. Gegen fünf Uhr rief ich noch einmal an um Bescheid zu geben, dass wir uns nun auf den Weg machen würden, die Straßen waren schön frei, so dass wir nach 20 Minuten dort waren.
Ich freute mich unheimlich die schönen Räume des Geburtshauses zu betreten, denn dort wollte ich schon mein erstes Kind bekommen, was leider aufgrund des Geburtsverlaufs nicht möglich war. Aber jetzt hatte ich es geschafft, ich würde mein Kind im Geburtshaus bekommen.
An diesem Tag hatten die Hebammen viel zu tun, neben mir war noch die Hausgeburt zu betreuen und eine weitere Gebärende kam fünf Minuten nach mir an und bezog einen Raum in der Hebammenpraxis.
Ich hatte regelmäßige Wehen im Abstand von ca. vier Minuten, die sich aber durch veratmen gut aushalten ließen. Ich tigerte auf und ab, stützte mich in den Wehen auf den Wickeltisch oder die kleine Mauer vor der Badewanne und freute mich darüber, dass mein Kind nun auf die Welt kommen würde. Irgendwann habe ich mich in den Pausen dann immer auf einen Ball gesetzt, weil ich Sorge hatte, dass mir sonst zu früh die Kraft ausgeht. Ich war gut gelaunt, wir haben uns in den Pausen unterhalten und ich war einfach nur glücklich.
Denise bot mir an doch in die Wanne zu gehen, was ich gerne annahm. Schon in den Wochen vor der Geburt hätte ich mich am liebsten nur noch im Wasser aufgehalten und wir waren oft im Schwimmbad. So ging es einfach weiter, Wehenpause, gemütlich im Wasser dümpeln, Schwätzchen halten und dann die nächste Wehe, am Rand festkrallen und tönen. Mein Mann war sichtlich hundemüde und gähnte wie wild, kein Wunder, viel Schlaf hatte er in dieser Nacht nicht bekommen. Da es mir gut ging und ich seine Unterstützung noch nicht wirklich brauchte, schickte ich ihn ins Bett. Er ließ sich von mir überzeugen, dass das Sinn macht und kaum lag er war auch schon ein dezentes Schnarchen zu hören, über das ich mich mit Denise herrlich amüsiert habe.
Irgendwann wurden die Wehen in der Wanne dann doch etwas schwächer, in den Pausen war ich jeweils kurz davor einzuschlafen, also wieder raus und lieber noch mal draußen arbeiten. Für meine Mann war es mit dem Schlafen damit rum, denn ich brauchte seine Hilfe um aus der Wanne heraus zu kommen.
Keine Ahnung wann genau es heftiger wurde. Aus dem Tönen wurde ein Schreien, die Wehen wurden scheinbar unerträglich. Dabei hatte ich dann im Hinterkopf, dass sich in den letzten Stunden noch nicht wirklich viel am Muttermund getan hatte. Irgendwas war da verkehrt, das sollte doch viel schneller gehen, hatte ich zumindest gedacht.
Wieder auf den Ball und in den Wehen aufstehen. Wobei es immer schwierig war den richtigen Zeitpunkt zum Aufstehen nicht zu verpassen, war die Wehe schon richtig da, war es nämlich zu spät und es zerriss mich auf dem Ball. Dann habe ich mich doch mal auf das Bett gelegt, weil ich langsam nicht mehr konnte. So konnte ich mich in den Pausen wenigstens etwas ausruhen. Aber jeder Positionswechsel war einfach nur höllisch, weil er direkt die nächste Wehe auslöste. Mein Mann gab mir bei jeder Wehe im Lendenwirbelbereich mit der Hand Gegendruck, eine Wohltat! Ich wartete bei jeder Wehe darauf, dass endlich die Fruchtblase platzen würde, aber nichts tat sich. Überhaupt hatte ich Angst, dass sich nun gar nichts tut. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich nun untersucht werden wollte. Was wenn rauskam, dass sich nichts verändert hat, nachher bremst mich das nur noch mehr aus? Andererseits konnte es ja auch sein, dass es nun ordentlich voran gegangen war, das hätte mich dann wieder bestärkt. Also doch noch mal schauen lassen, ok jetzt sind es so 6-7 cm. Mir war das immer noch zu wenig, aber immerhin, es tat sich was und das war das Wichtigste.
Ich versuchte es noch mal mit der Wanne. Probierte da auch verschiedene Positionen aus. Im Knien ging leider gar nicht, das machten meine Beine nicht mit. Auf dem Rücken liegend war nicht mehr drin, weil mir dann keiner hätte Gegendruck im Rücken geben können. Also legte ich mich irgendwie auf die Seite. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich in der Wanne blieb. Überhaupt haben wir selten auf die Uhr geschaut, daher kann ich keine Zeiten nennen. Irgendwann wurde klar, dass die Wehen so nicht ok waren, das Baby donnerte wohl ordentlich auf mein Schambein, die Position war also nicht günstig, denn schließlich sollte es ja am Schambein vorbei. Also wieder raus aus der Wanne, doch noch mal auf das Bett. Denise nahm in den Wehen mein eines Bein und versuchte mir etwas Gegendruck zu geben. Die Wehen immer noch unerträglich, aber zumindest wieder in der richtigen Richtung und nicht mehr vorne am Schambein.
Dann kam Katrin, die andere Gebärende oben in den Praxisräumen hatte es geschafft. Sie hat dann erst einmal meine Atmung umgestellt, weil sie meinte das Schreien täte mir nicht gut. Das Gefühl hatte ich auch schon gehabt, aber auf Denise’ Vorschlag es doch mal mit der Pferdeatmung zu probieren, hatte ich nicht so recht reagiertt. Schreien war irgendwie einfacher, auch wenn ich das Gefühl hatte dadurch nur noch mehr Druck aufzubauen. Katrin hat mich dann in ihrer resoluten Art sanft „gezwungen“ es wirklich anders zu machen und hat mich ganz prima dabei unterstützt.
Sie hat mich dann auch noch einmal untersucht, immerhin 8 cm waren es dann jetzt doch schon. Eigentlich ja schon gut weit, aber eben doch viel weniger als ich mir erhofft hatte, bzw. wenn es in diesem Tempo weitergeht…. Ich war mir einfach nicht sicher das noch lange genug durchzuhalten. Es war ja jetzt schon Mittag.
Da das Köpfchen immer noch nicht die richtige Position im Becken hatte, scheuchte Katrin mich dann vom Bett hoch, ich sollte mich hinstellen. Ich habe keine Ahnung, woher ich die Kraft nehmen sollte. Schon der Weg vom Bett zum an der Decke befestigen Tragetuch war eine Tortur. Positionswechsel waren nicht mehr wirklich lustig. Aber irgendwie bin ich doch dahin gekommen, stellte auf dem Weg fest, dass scheinbar der Schleimpropf abging. Zumindest hatte ich auf einmal ganz viel Schleim zwischen dein Beinen und fand das Gefühl alles andere als angenehm. Jetzt hing ich also in den Wehen am Tragetuch, versuchte irgendwie mit dem Becken zu kreisen, schwankte hin und her und schnaubte wie ein Pferd. Ich bekam von Katrin noch ein paar Globuli, die dem Kind helfen sollten den richtigen Weg in das Becken zu finden. In den Pausen saß ich auf dem Ball und jammerte, dass ich das so nicht mehr packe. Die Alternative war, mir einen Wehehemmer zu geben und die Fahrt ins Krankenhaus anzutreten. Für mich hieße es einen Traum aufzugeben, noch dazu kam, dass meine Wunschklinik für den Notfall, die Filderklinik, eine zu weite Fahrt bedeutet hätte. Den Weg hätte ich nicht überstanden, da war ich mir sicher. Und in jeder anderen Klinik wäre mir das Risiko mit einem Kaiserschnitt zu enden einfach zu hoch gewesen. Viel Kraft mich gegen irgendetwas zu wehren hatte ich ja auch nicht mehr.
Ich weiß nicht wie viele Wehen das so ging, am Tuch hängen und irgendwie den irrsinnigen Schmerz aushalten und dann auf den Ball sinken und mit mir kämpfen, ob ich es noch aushalte oder ob es doch alles keinen Sinn hat. Mein Mann überließ die Entscheidung mir, aber er machte eher den Eindruck, dass wir es doch im Geburtshaus schaffen würden. Das überraschte mich ziemlich, hatte ich doch eher erwartet er würde mich dazu drängen diesen Schmerz so nicht mehr hinzunehmen. Ich fand es toll, dass er es mir zutraute, das durchzustehen.
Ich war kurz davor aufzugeben, Katrin wollte gerade noch einmal nach oben gehen, da gab es in einer Wehe ein kurzes „platsch“ und ich hatte das Gefühl mir würde auf einmal alles reißen. Die Fruchtblase war geplatzt! Und auf einmal konnte ich nichts anderes mehr als zu pressen. Katrin machte auf dem Absatz kehrt, zog noch schnell ein paar im Vorraum bereitstehende Kisten heran und ich schrie nur, dass es so nicht geht, ich würde zerreißen, müsste unbedingt auf den Hocker runter. Irgendwie schaffte ich es dann auch mit der Hilfe meines Mannes mich hinzusetzen, er bekam noch schnell einen Stuhl gereicht um mich von hinten stützen zu können und dann konnte ich nur noch pressen. Sofort meinte Denise, sie würde schon den Kopf sehen, ganz viele dunkle Haare (das kam mir von meinem ersten Kind bekannt vor) und ich fasste direkt einmal hin: ganz weich und glitschig! Gut dass ich direkt gefühlt habe, viel Zeit blieb nämlich nicht mehr. So richtig konnte ich den Ablauf von Wehe und Wehenpause nicht spüren. Also presste ich vorsichtig wie ich eben konnte und schwupp war auch schon der Kopf da. Die Schultern und der Körper gingen dann deutlich etwas schwerer, aber alles in allem hat das Ganze kaum fünf Minuten gedauert. Ich war völlig überrollt. Eben noch war ich drauf und dran mich ins Krankenhaus fahren zu lassen und auf einmal war unser Baby da.
Und da lag unser Baby in einer riesigen Lache Fruchtwasser (es waren wohl noch gut zwei Liter, die tatsächlich erst nach dem Baby in einem großen Schwall herauskamen, denn beim Platzen der Blase hatte der Kopf sofort alles abgedichtet). Ich bat meine Mann ganz schnell meine Brille zu holen, damit ich etwas sehen kann. Und als ich die Brille aufhatte sah ich mir mein Baby an. Im ersten Moment glaubte ich einen Penis und Hoden zu sehen und sagte schon freudig „wieder ein Junge“, doch auf den zweiten Blick waren es tatsächlich doch Schamlippen was ich da sah. Wir hatten ein Mädchen! Unglaublich! Es war 12.40 Uhr.
Ich nahm unser Baby hoch und wir wankten irgendwie rüber auf das Bett um uns hinzulegen. Ein schönes Gefühl sein Baby auf dem Arm zu haben und noch durch die Nabelschnur miteinander verbunden zu sein. Immer noch dieses unglaubliche Gefühl sie nun tatsächlich im Arm zu halten, wo ich doch fünf Minuten vorher noch aufgeben wollte. Das ist es auch, was mir von dieser Geburt wohl für immer am deutlichsten in Erinnerung bleiben wird. Wie auch schon bei der Geburt meines Sohnes war ein kleines Wunder geschehen!
Es dauerte dann eine ganze Weile bis ich auch die Plazenta gebären konnte, die Wehen waren noch einmal ziemlich. Aber nachdem die Nabelschnur auspulsiert war und Gerald sie durchgeschnitten hatte, kam dann auch endlich die Plazenta und die starken Wehen waren vorbei. Endlich ließ auch das entsetzliche Brennen nach, die Nabelschnur hat mich wohl in der Scheide sehr gereizt und ich war sicher, dass es wieder nicht ohne Verletzungen abgegangen war. Als Katrin dann nachsah waren wir alle reichlich erstaunt: der Damm war heil, kein Riss in der Scheide und nur eine klitzekleine Abschürfung an einer Schamlippe, aber das blutete nicht einmal. Ich konnte es kaum fassen!
Nachdem wir eine ganze Weile zu dritt auf dem Bett gelegen haben, war die Neugierde dann doch groß und wir übergaben unsere Tochter, damit sie vermessen werden konnte, an unsere Hebammen. Sie passte kaum in den Sack der Waage und brachte tatsächlich stolze 4750 g auf die Waage. Dagegen war mein Sohn mit seinen 4170 g ja ein richtiges Fliegengewicht. Kein Wunder, dass der Körper so schwer herauszupressen war.
Nachdem Jolanda, so haben wir unsere Tochter genannt, dann noch eine Weile auf meinem Bauch kuscheln durfte habe ich sie gestillt. Das klappte wirklich prima, sie hat problemlos die Warze genommen und ordentlich gesaugt. Mein Mann hat seine Eltern angerufen, ich meiner Mutter, die gerade in Dänemark war, eine SMS geschickt. Ich habe Jolanda dann an ihren Papa übergeben, der sie auch mal auf der nackten Brust haben sollte und bin duschen gegangen. Natürlich war ich noch etwas wackelig auf den Beinen, aber trotzdem klappte das schon ganz gut.
Dann blieb nur noch unsere Tochter anzuziehen, und unseren Kram zu packen. Jolanda ging es prächtig. Ich war auch soweit fit, Blutdruck lag tatsächlich bei satten 120/80 und so sind wir 2,5 Stunden nach der Geburt nach Hause gefahren.
PS: Direkt nach der Geburt habe ich auf die Frage wie es war mit „ein Höllenritt“ geantwortet. Jetzt ist über eine Woche vergangen, ich hatte bereits Schwierigkeiten die Einzelheiten zusammen zu bekommen und kann mich nur noch vom Kopf her an das Gefühl der Schmerzen und die damit verbundenen Gefühle des Überfordertseins erinnern. Gebt mir noch zwei Wochen, dann werde ich behaupten, es sei eine tolle Geburt gewesen, einfach weil nur noch das unendlich gute Gefühl da ist es geschafft zu haben.
PPS: Jetzt sind über sieben Monate vergangen. Und ich sage heute jedem: Es war eine tolle Geburt!
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