Bericht der Geburt meiner Tochter Juliane Karolina im Stuttgarter Geburtshaus (Juni 2006)
Einleitende Worte
Einen Geburtsbericht zu schreiben, ist eine besondere Angelegenheit, weil eine Geburt – plötzlich ist ein Mensch mehr da – ein außergewöhnliches Ereignis im Leben darstellt. Dies sage ich aufgrund meines bisherigen Empfindens. Angeregt wurde ich von den Hebammen Monika Schmid und Kathrin Rohde, die uns während der Geburt begleiteten, um die Idee und Praxis des Stuttgarter Geburtshauses voranzubringen.
Da meine Frau Brigitte und ich sehr zufrieden mit der Betreuung waren, ließen wir uns darauf ein, einen solchen Bericht zu schreiben. Festhalten möchte ich jedoch, dass ich meinen Geburtsbericht vorwiegend nicht für andere schreibe, sondern zunächst für mich selbst und dann für meine Frau, Brigitte. Denn eine Reflexion eines im Leben so einschneidenden Ereignisses bedeutet, davon bin ich überzeugt, eine neue Erkenntnisqualität der eigenen Persönlichkeit. Wenn diese Zeilen eine Veröffentlichung erfahren, freut es mich. Außerdem sind diese Zeilen im höchsten Maße subjektiv, denn ich habe sie so erlebt. Interessant für mich ist sicherlich, warum ich gerade die nachfolgenden Dinge hervorhebe und keine anderen.
Warum Geburtshaus und nicht Klinik?
Entschieden, die Geburt im Stuttgarter Geburtshaus und nicht in der Klinik durchzuführen, haben wir, weil meine Frau und ich generell an eine „natürliche Geburt“ glauben und auch im Alltag so leben. Der Arzt wird auch erst dann aufgesucht, wenn unbedingt notwendig. Beide sahen wir die Geburt als einen zwar sicherlich schmerzvollen, jedoch völlig natürlichen Vorgang an und sahen daher auch keine Notwendigkeit, eine Klinik aufzusuchen. Da die Schwangerschaft unkompliziert verlief, bestärkte und bestätigte sich dieser Gedanke. Auf uns wirken Kliniken auch eher kühl. Dazu kommt ein mentales Bild von uns, dass Ärzte allfällige Probleme eher überproblematisieren und das wollten wir uns bewusst ersparen. Wir wollten unser Kind in einer heimeligen, geborgenen Atmosphäre zur Welt bringen. Nachdem wir gehört hatten, dass die Filderklinik, die vom Konzept her auch „natürliche, selbstbestimmte“ Geburten favorisiert, oft überfüllt sei, war für uns die Entscheidung klar, ins nahe gelegene Stuttgarter Geburtshaus zu gehen. Für meine Frau war auch die durchgehende Hebammenbetreuung ein wichtiges Entscheidungskriterium.
Bei einer Vorsorgeuntersuchung fragte mich die Hebamme Vroni Jankowski, wie ich denn zur Geburt im Geburtshaus stehe, denn „meine Meinung als Partner sei wichtig“. Ich wunderte mich sehr über die Frage, denn ich war der Meinung, dass sich meine Frau wohl fühlen müsse und nicht ich. Je mehr ich jedoch im Nachhinein über diese Frage nachdachte, desto besser gefiel sie mir, denn damit wurde klar, auch ich bin im Geburtsprozess gefragt und meine Anwesenheit kann das Geburtsgeschehen beeinflussen und so war es auch in der Tat.
Vertrauen zu den Hebammen schon im Vorfeld aufzubauen, war, glaube ich, für meine Frau ganz wichtig, um sich in der Stunde der eigentlichen Geburt auch ganz öffnen zu können. Durch die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen war dies sehr gut möglich.
Auch die Einführungsgespräche der Hebammen beeindruckten mich. Sie wurden mit Ruhe, Sachverstand und einer Prise Pragmatismus durchgeführt. Die Bedingungen, unter denen eine Geburt im Geburtshaus stattfinden könnte und wann eine Verlegung vom Geburtshaus in eine Klinik eingeleitet wird, wurden deutlich gemacht und zwar durchgängig von allen Hebammen. Das machte das Konzept glaubwürdig und half uns zusätzlich eine vertrauensvolle, gute Beziehung mit den Hebammen aufzubauen.
Ein weiteres Kriterium für mich, die Geburt im Geburtshaus zu erleben, waren eindeutig die Räumlichkeiten. Ein partnerfreundliches 1,40 m breites Bett, eine große Badewanne, ein großes Bild einer roten Rose und bunte Vorhänge tragen zu einer „Wohlfühl“-Atmosphäre bei. Diese Artefakte zeigten mir, man will da eine gemütliche Atmosphäre schaffen „fast wie zu Hause“.
Ich spiegelte meiner Frau immer nur meine Eindrücke wieder und wir entschieden gemeinsam, als erste Option ins Geburtshaus zu gehen und dennoch offen zu bleiben, was in der Stunde der Geburt tatsächlich der passende Ort sei.
Wie die Geburt begann
Begonnen hat alles mit Schmerzen bei meiner Frau und etwas ungeduldigem, indifferenten Warten meinerseits, denn „Mann“ weiß ja dank Geburtsvorbereitungskurs Bescheid, „Mann“ spürt aber nichts und hört seine Frau lautstark mitteilen, dass nun starker Schmerz einsetzte. Da dieser Schmerzschon öfter zeitweilig auftrat, blieb ich mittlerweile schon ganz ruhig und behauptete: „Da kommt noch nichts, das kann noch Tage dauern“. Jedoch: Diesmal nahm meine Frau den Bereitschaftsdienst des Stuttgarter Geburtshauses in Anspruch und die Hebamme Kathrin kam auch gleich. Sie untersuchte meine Frau und teilte mit „der Muttermund ist noch ganz verschlossen“, was meine Theorie, dass noch nichts sei, bestätigte. Sie sagte, es kann 6 Stunden oder noch 2 bis 3 Tage dauern, jedoch den Autositz im Auto könnte ich ja schon montieren. Denn ich fragte in stündlichen Intervallen, „Geht´s jetzt los?“. Das nervte meine Frau schon ein bisschen und darauf hin ging ich hinunter und befestigte, den Autositz, um meine scheinbare Nervosität etwas zu beruhigen und etwas Sinnvolles zu tun.
Der weitere Tag war ansonsten ganz ruhig. Brigitte ging früh schlafen und ich schrieb noch bis 1 Uhr nachts E-Mails als plötzlich, ich wollte mich gerade ins Bett begeben, Brigitte aus dem Schlafzimmer kam und sagte: „Gerald ich habe solche starken Wehen“. Ich beruhigte meine Frau und sagte, das sind sicherlich nur Vorwehen, das kann noch dauern und wollte zu Bett gehen. Die Schmerzen wurden stärker und plötzlich sagte meine Frau: „So jetzt rufe ich da im Geburtshaus an und sage das. Dass es jetzt Nacht ist, ist mir egal“. Gesagt, getan. Am Telefon die Hebamme Kathrin, die meinte: „O.k. dann kommt mal, das schaut ganz nach Geburt aus.“
Plötzlich war ich mitten in der Nacht hellwach. Wir verstauten die schon gepackten Taschen inklusive Kerzen im Auto, denn mir war wichtig, mit Kerzen die Geburts-Atmosphäre abzurunden.
Die Ankunft im Geburtshaus
Als wir dort um 3 Uhr morgens ankamen, standen die Türen schon weit offen, die Räumlichkeiten waren gut beheizt und angenehm gedämmt. Der Gang erhellt und Hebamme Kathrin empfing uns in erwartungsvoller Stimmung im „Sportanzug“. Mein erster Eindruck war, dass die Geburt ja durchaus sportlich sei und daher der Sportanzug passend. Hellwach war Hebamme Kathrin im Gegensatz zu uns oder zumindest zu mir. Ich war auch etwas nervös und sehr gespannt, was denn da die nächsten Stunden auf uns zukommen wird. Es war angenehm eine ausgeruhte, entspannte Hebamme vorzufinden, die den Eindruck machte, dass sie sich, trotz früher Stunde voll und ganz auf die Geburt freut und uns klare, ruhige und auch liebevolle Anweisungen gab, was nun Schritt für Schritt zu tun sei.
Volle Aufmerksamkeit der Hebamme galt Brigitte, die sofort eine Untersuchung am Muttermund durchführte und spürte, dass er schon 7-8 cm offen sei und Brigitte für die schon im Vorfeld geleistete Arbeit lobte. Ich brachte mich ein, wo ich konnte und fragte auch immer die Hebamme und auch Brigitte was ich tun konnte. Brigitte wollte mich in ihrer Nähe haben und bekundete dies auch sehr klar, als ich im zweiten Raum unsere Sachen ausbreitete.
Ich holte alle Sachen aus dem Auto, stellte die Kerzen auf und bezog mit Hebamme Kathrin das Bett. Bei der Muttermunduntersuchung platzte auch die Fruchtblase und Brigitte ging spontan doch in die Badewanne, obwohl sie dies immer im Vorfeld abgelehnt hatte. Das warme Wasser zwischen den Wehen war für meine Frau eine wohlige Entspannung.
Hebamme Kathrin bereitete eine Kanne Tee, ich holte unseren mitgenommen Fruchtsaft heraus und stellte 2 Teelichter an den Ecken der Badewanne auf. Brigitte bedankte sich und empfand dies wie „zu Hause“.
In der Badewanne
Nach und nach und immer schneller setzte die Wehentätigkeit ein. Schon zu Hause und im Auto waren schmerzliche Wehen zu vernehmen, nun wurden sie plötzlich noch stärker und die Intervalle verkürzten sich auf 3-5 Minuten. Brigitte stieß heftige Schmerzschreie aus, die mich verunsicherten. Brigitte griff in der Badewanne nach meinen Händen und hielt sich an mir fest, um die starken Schmerzen zu veratmen. Die Hebamme Kathrin rief: „Ja trau dich“, „Schieb“, jedoch der Schmerz war sehr groß und die Schreie meiner Frau waren sehr laut.
Immer stärker drückte Brigitte meine Hände und hielt sich an mir fest. Ich stand hinter ihr und gab ihr quasi das Gegengewicht. Mit meiner ganzen Kraft drückte ich dagegen, um Brigitte den Rückhalt zu geben. Alles lief wie von selbst. Ich stand keine Sekunde tatenlos dabei, denn meine Frau hielt mich einfach fest. Ich hatte den Eindruck, Brigitte und ich vollbrachten die ganze Austreibungsphase zu zweit. Die Hebamme gab nur gelegentlich Anweisungen, wie Brigitte atmen sollte und motivierte Brigitte ruhig noch stärker zu schieben. Anscheinend hielt Brigitte Kräfte zurück, aus Angst, bei sich selbst nichts zu verletzen und auch wegen der Schmerzen. Die Hebamme hatte in dieser Phase die typische Rolle der „Anfeuererin, der Motivatorin“ und gelegentlich auch der „Beruhigerin“.
Ich war sehr aufgeregt, trank sicherlich innerhalb der drei Stunden drei Liter Flüssigkeit und fühlte mich plötzlich auch sehr gut, denn ich war ganz und gar mit all meiner Kraft gefragt. Ohne meine Kraft, so Brigitte, hätte sie nicht das Gegengewicht gehabt, so fest zu schieben und somit konnte ich den Geburtsverlauf mit meiner körperlichen Kraft stark positiv beeinflussen.
Alle paar Minuten wurden die Herztöne des Kindes gemessen, die kontinuierlich fest und rhythmisch schlugen. Das beruhigte und wir wussten, dem Baby geht es gut. Denn die Hebamme meinte, das warme Wasser kann unter Umständen für das Kind anstrengend sein und dann würden die Herztöne langsamer. In solch einer Situation, so die Hebamme, müsste die Geburt dann unverzüglich „an Land“ erfolgen, obwohl das Wasser zur Entspannung für Brigitte so angenehm war.
Ortswechsel innerhalb der Badewanne. Es geht weiter.
Hebamme Monika wurde zur routinemäßigen Verstärkung kurz vor der Geburt gerufen. Zur Sicherheit und auch für die Mehrarbeit, die direkt bei der Geburt anfällt. Dies ist Teil des Services des Stuttgarter Geburtshauses. Brigitte schlief fast bequem liegend in der Badewanne ein, und die Austreibung geriet ins Stocken. Plötzlich schlug die frisch angekommene Hebamme Monika vor, die Badewanne zu verlassen, was von Brigitte kategorisch abgelehnt wurde. Monika schlug Brigitte vor, zumindest einen Ortwechsel, eine andere Lage zu wählen, als in der Wanne zu liegen, um die Schwerkraft wirken zu lassen, und in der Wanne aufzustehen. Darauf lies sich meine Frau ein.
Jetzt ging es wirklich wieder voran. Brigitte hielt sich an einem direkt über der Badewanne befestigten Tuch fest und drückte mit all ihrer Kraft und tatsächlich ging es wieder gut weiter.
Ich trank weiterhin vor Kraftanstrengung und Gespanntheit Unmengen an Flüssigkeit. Meine Aufregung und mein Adrenalinpegel stieg. Brigitte machte nun gute Fortschritte, die Schmerzen stiegen, ihr Schreien wurde lauter und sie legte sich wieder in die Badewanne, um sich von den rhythmisch kommenden Schmerzen, vom sehr starken Drücken und Pressen zu erholen. Das warme Wasser war für meine Frau äußerst angenehm.
Nach 2-3 Minuten Verschnaufen setzten aber sofort die Wehen wieder ein. Hebamme Kathrin forderte Brigitte auf, nach dem Kopf zu tasten. Und tatsächlich konnte Brigitte schon den Kopf des Kindes spüren und wie das Kind mitarbeitete und sich durch die Öffnung wand. Brigitte meinte später, sie empfand in dieser Sekunde ein starkes Liebesgefühl für das Kind und enorm viel Kraft, was sie zum weiteren Pressen oder Schieben motivierte, trotz starker Schmerzen. Die Hebamme animierte Brigitte, weiter zu schieben und tief weiter zu atmen. Brigitte wendete all ihre Kraft auf, hielt mich an meinen Armen fest und ich gab ihr mit meinem ganzen Körpergewicht Rückhalt.
Der Kopf des Kindes war plötzlich sichtbar.
Nach einigen Minuten harten Arbeitens konnte ich die Schädeldecke des Babys sehen und das Schreien von Brigitte wurde noch lauter. Nach einigen weiteren Minuten war der ganze Kopf sichtbar und Brigitte spürte mit ihren Händen den Kopf und war emotional stark berührt. Sie presste weiter und in Sekundenschnelle war es so weit.
Das Baby ist da.
Ich traute meinen Augen nicht, dass es nun doch so schnell ging. Das Baby war da. Ein blau-grauer Körper, der im Wasser auf die Welt kam. In Windeseile hob die Hebamme Kathrin den kleinen Körper auf die Brust von Brigitte und plötzlich fing das Kind an, Laute von sich zu geben, ein Schreien. In kürzester Zeit verwandelte sich die Farbe in rosa und die Hebammen halfen Brigitte aus der Badewanne zu steigen. Das Wasser der Wanne war im wahrsten Sinne des Wortes blutrot, da ja auch die Plazenta ins Wasser glitt und eine Menge Blut.
Die Erholungsphase und mein mit großer Freude untermauerter Stolz.
Hebamme Kathrin nahm das Kind, Brigitte stand mit meiner und der Unterstützung von Hebamme Monika aus der großen Badewanne und Brigitte und ich legten uns in das Bett im Nebenraum. Das Kind wurde liebevoll in warme Tücher gehüllt und auf die Brust von Brigitte gelegt. Nach ca. 1h wurde Brigitte von den Hebammen untersucht und dabei bekam ich das Kind auf meine Brust. Mit großen, prüfenden Augen schaute mir das Kind äußerst tief in die Augen und nahm so Kontakt mit mir, dem Vater, auf. Ich war sehr stolz darauf, dass das Kind, auf meiner Brust nicht schrie, sondern sich wohl fühlte. Ich war so stolz, dass sich unser Kind gleich auf meiner Brust beruhigte und sich von der Geburtsarbeit geborgen erholte. Ich war überglücklich.
Der Weg nach Hause.
Nachdem Brigitte versorgt wurde, die Hebammen das Kind warm angezogen und wir noch ein kleines Frühstück erhalten hatten, traten wir den Weg nach Hause an. Ich hatte „kostbare Fracht“ an Bord. Zuerst brachte ich das Kind in das Auto im Autositz, das ganz brav im Auto wartete, bis ich Brigitte ins Auto geleitete. Zu Hause angekommen, begleitete ich zuerst Brigitte in die Wohnung, dann holte ich das Kind. Ich machte die Türe hinter mir zu, legte das Kind in unser großes Familienbett und wir drei schliefen sofort in aller Ruhe ein.
Meine Lernerfahrungen als „Geburtshelfer“
Brigitte, meine Frau, brauchte mich bei der Geburt mehr als ich dachte.
Ich gab meiner Frau den Gegenhalt, damit sie die volle Kraft für das Pressen entwickeln konnte.
Das Gestalten des Umfeldes im Sinne einer guten und heimeligen Atmosphäre war hilfreich, dass sich meine Frau im Geburtshaus „so weit“ öffnen konnte.
Ich konnte zum Gesamtgeschehen mehr beitragen, als ich mir vorher jemals gedacht habe.
Diese Erlebnisse und diese Erfahrung stärkten mein Selbstvertrauen in meine Rolle als Unterstützer meiner Frau in schwierigen Situationen des Lebens.
Das Erlebnis, dass sich mein Kind von der ersten Minute an, an meiner Brust beruhigen ließ, stärkt meine Freude und auch mein Selbstvertrauen, eine tiefe, vertrauensvolle und gute Beziehung mit meinem Kind aufzubauen.
Ich freue mich auf die weiteren Herausforderungen meiner Vaterschaft und meiner Partnerschaft. Dazu bin ich jetzt gerüstet.
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